Lost Places in der Pfalz wecken die Neugier von Ausflüglern

Ein alter Straßenbahnwagon mitten im Wald
Ein alter Straßenbahnwagon mitten im Wald © Janine Croissant

Tief im Wald, irgendwo im Nirgendwo des deutsch-französischen Grenzgebiets, schimmert es gelb durch das dichte Blätterwerk. Man muss mindestens zweimal hinschauen, bevor man es wirklich glauben kann: Da steht tatsächlich ein Straßenbahnwaggon im Wald und leuchtet aus dem Dickicht heraus. Von Schienen ist dagegen weit und breit nichts zu sehen. Also: Wie kommt die Straßenbahn in den Wald? Hat sich diese Frage erst einmal festgesetzt, ist die Abenteuerlust geweckt. Dieser außergewöhnliche „Lost Place“ – ein vergessener, verwunschener und versteckter Ort – reizt die Fantasie der Geheimnisjäger. Doch bevor es losgeht mit der spannenden Suche, sei an den Lost-Place-Ehrenkodex erinnert: Nimm nichts mit außer Fotos und hinterlasse nichts außer Fußspuren. Betritt keine Orte mit Gewalt – meistens ist das strafbar. Die genauen Standorte der Lost Places werden nicht veröffentlicht und generell gilt ein respektvoller Umgang mit der Geschichte des Ortes.

Die Recherche zur Straßenbahn im Wald beginnt im Internet. In den sozialen Medien finden sich einige Fotos, Videos und der Hinweis, dass der gelbe Waggon bei einem See in der Nähe von Wissembourg steht. Also gar nicht in der Pfalz, sondern genau genommen im benachbarten Elsass. Wer sich die Zeit nimmt und die Kommentarspalten der entsprechenden Einträge durchforstet, erhält weitere – mutmaßliche – Anhaltspunkte: Menschen, die bei deutschen und französischen Verkehrsbetrieben arbeiten oder gearbeitet haben, Nostalgiker und Historiker melden sich zu Wort. Auch die Presse dies- und jenseits der Grenze nimmt sich des mysteriösen Themas an. 

Schließlich wird das Fahrzeug als eine Straßburger Straßenbahn identifiziert, hergestellt von der Firma Herbrand aus Köln. Gut zu wissen: Der Straßenbahnbetrieb in Straßburg wurde im Jahr 1960 eingestellt. Während die meisten Fahrzeuge damals verschrottet wurden, konnten einige an Privatleute verkauft werden. Von einem symbolischen Pfennigbetrag ist immer wieder die Rede. Der Triebwagen, der seinen Standort wohl als Jagdunterstand zwischen den Bäumen gefunden hat, stammt aus dem Jahr 1908 und wurde 1930 in einen Beiwagen umgebaut. Die strahlend gelbe Farbe ist nicht original, denn früher waren die Straßburger Straßenbahnen in einem hellen Elfenbeinton lackiert. Und schon ist man mittendrin in der spannenden Recherche zur Lost-Place-Straßenbahn. Ganz grob kann das Waldgebiet eingegrenzt werden – und das obwohl sich alle Menschen, die konkrete Angaben machen könnten, äußerst bedeckt halten. Mit etwas Hartnäckigkeit und Kreativität bei der Suche wird man jedoch fündig und kann dieses versteckte Schätzchen selbst in Augenschein nehmen.

Detailaufnahmen aus dem Inneren des Wagons.
Detailaufnahmen aus dem Inneren des Wagons. © Janine Croissant

Schrauben und Draht im Wald bei Bad Dürkheim

Reste des Bauwerkwerks im Wald zeugen von der einstigen Existenz der Gondelbahn.
Reste des Bauwerkwerks im Wald zeugen von der einstigen Existenz der Gondelbahn. © Janine Croissant

Deutlich einfacher gestaltet sich die Suche nach einem ganz anderen Lost Place in der Pfalz: Einst gab es nämlich eine Gondelbahn, die vom bekannten Wurstmarktplatz in Bad Dürkheim hinauf in den Wald führte. Und die gondelte sogar noch im Jahr 1981. Heute zeugen nur noch wenige Reste von der Bad Dürkheimer Gondelbahn. Wer auf dem Wurstmarktplatz steht – genauer gesagt auf der freien Fläche am Kreisel neben der „alten Polizeiwache“ – kann noch eine Schneise im Wald erkennen. Genau dort verlief einst die Trasse der Bergbahn. Acht mächtige Stützen trugen das Seil und eine Einzelfahrt dauerte rund sieben Minuten, wie überliefert ist. Das Betriebsgebäude auf dem Wurstmarktplatz, die Talstation der Bahn, stand noch bis ins Jahr 2018. Dabei war die Anlage da bereits seit Jahrzehnten außer Betrieb. Ursprünglich wurde sie 1972 nicht von der Stadt, sondern von einem Privatmann eröffnet, der den Tourismus in Bad Dürkheim ankurbeln wollte. Doch was er nicht hatte – und auch nicht bekam – waren die Überfluggenehmigungen der Grundstückseigentümer, über deren Land die Seile gespannt waren. Was folgte, war ein jahrelanger Rechtsstreit mit Enteignungen, Klagen und Gegenklagen.

Schließlich verfügte das Bundesverfassungsgericht die Einstellung des Fahrbetriebs der Seilbahn. Später gab es nochmals Versuche, sie zu reaktivieren. Eine Investorengruppe wollte das Projekt gemeinsam mit der Stadt und einer Bürgerinitiative wiederbeleben. Doch Kosten, Naturschutzauflagen und Genehmigungen erwiesen sich als unüberwindbare Hürden. 2018 war das endgültige Aus besiegelt. Während auf dem Wurstmarktplatz heute nichts mehr an die Gondelbahn erinnert, lassen sich im Wald noch Spuren der ehemaligen Bergstation finden. Im Jahr 2000 zerstörte ein Brand große Teile des Bauwerks. Doch mit etwas Orientierung – beispielsweise vom Parkplatz „Weilach“ aus – kann man nach etwa einem Kilometer die betonierte Fläche und einige Mauerreste entdecken. Hier hat sich die Natur das Gelände langsam zurückerobert, doch Eisenteile und Mauerwerk zeugen noch von der Bahnanlage. Der Ort ist heute ein beliebtes Fotomotiv und nicht nur in der Lost-Place-Szene bekannt. Seit Neuestem gibt es sogar ein kleines Hinweisschild mit QR-Code, um die Geschichte dieses fast vergessenen Ortes nachzulesen.

 

Janine Croissant